Auch wenn hier eine deutsche Übersetzerin aus dem Nähkästchen plaudert, will dieser Text keine Anekdote über das Leben als Deutsche in der Schweiz sein. Vielmehr versteht er sich als eine kleine Einführung und Überblick für Übersetzer und solche, die sich für die Materie interessieren. Vielleicht haben Sie schon unsere Blogs über die Unterschiede zwischen Mundart und Schweizerhochdeutsch gelesen? Um Letzteres geht es hier. Das Deutsche ist bekanntlich eine plurizentrische Sprache. Das heisst, es gibt verschiedene Standardvarietäten – auch wenn die Varietät aus Deutschland unter anderem aufgrund der grossen Sprecherzahl oft als dominierend empfunden wird, gerade auch von Deutschen selbst! Wenn Sie als Deutsche für die Schweiz übersetzen möchten, tun Sie gut daran, diese Varietät als eigenständiges Vollzentrum mit eigenen Regeln zu betrachten – auch wenn Ihnen anfangs nicht immer klar sein wird, wann es sich noch um Schweizerhochdeutsch oder schon um Mundart, also den gesprochenen Dialekt, handelt … Gehen wir also gleich in medias res und schauen uns ein paar Beispiele an.
Wortschatz
Als Erstes sticht der deutschen Übersetzerin sicherlich der Wortschatz ins Auge. So schreibt man „Leerschlag“ statt „Leerzeichen“, „Sonnenstore“ statt „Markise“, „Tumbler“ statt „Wäschetrockner“, „Entscheid“ statt „Entscheidung“, „Traktandenliste“ statt „Tagesordnung“, „Reservation“ statt „Reservierung“, „Glace“ statt „Speiseeis“. Sie sehen, es trifft die unterschiedlichsten Bereiche. Und das waren nur Beispiele für Substantive …
Nicht genug damit, dass es Wörter gibt, die von der Varietät aus Deutschland abweichen. Es gibt sogar falsche Freunde! Als Deutsche glauben Sie vielleicht, eine „Promotion“ beziehe sich unter anderem auf die Verleihung der Doktorwürde. In der Schweiz wird hingegen ab der ersten Klasse „promoviert“, nämlich in die nächste Klasse „versetzt“. Eine „Versetzung“ wünscht sich in der Schweiz allerdings kein Schüler. Denn dies wäre eine strafweise Versetzung in eine Parallelklasse der gleichen Jahrgangsstufe.
Schliesslich gibt es noch Fälle, in denen unterschiedlich lexikalisiert wird: Im Schweizerhochdeutschen gibt es die „Knacknuss“, für die die Varietät aus Deutschland nur Umschreibungen kennt wie „eine harte Nuss zu knacken haben“.
Orthographie
Wie Sie nach den Wortschatzbeispielen sicher schon vermutet haben, gibt es auch Unterschiede in der Rechtschreibung. Am bekanntesten ist wohl der Verzicht auf das Eszett. Stattdessen schreibt man zwei „s“. Oder man verzichtet gleich ganz auf ein paar „s“ und schreibt beispielsweise „Schadenersatz“ statt „Schadensersatz“. Weitere Beispiele finden Sie hier. Mit der anderen Schreibweise mancher Wörter ist es jedoch nicht getan. Wenden wir uns daher der Grammatik zu.
Grammatik
Dieses weite Feld können wir hier nur streifen. Beschränken wir uns auf die Elemente Kasus und Genus. Manche Wörter verlangen in der Schweiz (in manchen Kontexten) einen anderen Kasus als in den übrigen Standardvarietäten. Beispielsweise schreibt man „Interventionen in Abstimmungskämpfe“. Die Präposition „in“ verlangt hier also Akkusativ statt Dativ. Auch beim Genus gibt es Verschiebungen. Wenn Sie als Deutsche das Wort „Tram“ überhaupt kennen und nicht „Strassenbahn“ verwenden, dann schreiben sie sicher „die Tram“. In der Schweiz heisst es jedoch „das Tram“.
Aber nicht verzagen, der deutschen Übersetzerin stehen Hilfsmittel zur Verfügung, zum Beispiel ein Blick in den Duden und das Lesen von Schweizer Zeitungen oder entsprechenden anderen Textsorten. Das Plädoyer aus dem Nähkästchen lautet also ähnlich wie in bisherigen Blogs: Nur Mut zum Schweizerhochdeutsch! Jede Sprachvarietät öffnet ein anderes Fenster zur Welt. Texte an ein Schweizer Zielpublikum sollten daher auch auf Schweizerhochdeutsch geschrieben werden, um diesen kulturellen Reichtum zu erhalten.
Autorinnen: Tatjana Greber-Probst, Jennifer Smolka, Lektorin: Myriam Cavegn